Kriegsausbruch
und Berufung
Die
Ruhe meines Lebensabends, den ich in meiner einstigen Garnisonstadt Hannover
beschließen wollte, gab mir seit dem Jahre 1911 die Möglichkeit,
mich den politischen Vorgängen in der Welt mit Muße zu widmen.
Die Beobachtungen, die ich dabei machte, waren freilich nicht imstande,
mich mit Befriedigung zu erfüllen. Ängstlichkeit lag mir ferne,
und doch konnte ich ein gewisses bedrückendes Gefühl nicht loswerden.
Die Ansicht drängte sich mir auf, daß wir in den weiten Ozean
der Weltpolitik hinaustrieben, ohne daß wir in Europa selbst genügend
fest standen. Mochten die politischen Wetterwolken über Marokko stehen
oder sich über dem Balkan zusammenziehen, die unbestimmte Ahnung,
als ob unter unserem deutschen Boden miniert würde, teilte ich mit
der Mehrzahl meiner Landsleute. Wir standen in den letzten Jahren zweifellos
einer der sich augenscheinlich regelmäßig wiederholenden französisch-chauvinistischen
Hochfluten gegenüber. Ihr Ursprung war bekannt; ihre Stütze
suchte und fand sie in Rußland wie in England, ganz gleichgültig,
wer und was dort die offenen oder geheimen, die bewußten oder unbewußten
Triebfedern bildete.
Ich habe die besonderen Schwierigkeiten in der Führung der deutschen
Politik nie verkannt. Die Gefahren, die sich aus unserer geographischen
Lage, aus unseren wirtschaftlichen Notwendigkeiten und nicht zuletzt aus
unseren völkisch gemischten Randgebieten ergaben, waren mit den Händen
zu greifen. Eine gegnerische Politik, der es gelang, die fremden Begehrlichkeiten
gegen uns zusammenzufassen, bedurfte nach meiner Ansicht hierzu keiner
großen Gewandtheit. Sie betrieb letzten Endes den Krieg. Auf diese
Gefahr uns einzustellen, versäumten wir. Unsere Bündnispolitik
richtete sich mehr nach einem Ehrenkodex als nach den Bedürfnissen
unseres Volkes und unserer Weltlage.
Wenn ein späterer deutscher Reichskanzler schon in den neunziger
Jahren mit dem fortschreitenden Zerfall der uns verbündeten Donaumonarchie
als mit etwas Selbstverständlichem rechnen zu müssen glaubte,
so war es unverständlich, wenn unsere Politik daraus nicht die entsprechenden
Folgerungen zog.
Den deutsch-österreichischen Stammesgenossen brachte ich jederzeit
volle Sympathie entgegen. Die Schwierigkeiten ihrer Stellung innerhalb
ihres Vaterlandes fanden ja bei uns allgemein die lebhafteste Teilnahme.
Dieses unser Gefühl wurde aber nach meiner Auffassung von der österreichisch-ungarischen
Politik allzu weitgehend ausgenutzt.
Das Wort von der Nibelungentreue war gewiß seinerzeit sehr eindruckst
voll. Es konnte uns aber über die Tatsache nicht hinwegtäuschen,
daß Österreich-Ungarn uns in die bosnische Krisis, auf die
dieses Wort gemünzt war, ohne bundesbrüderliche Verständigung
überraschend hineingezerrt hatte und dann von uns verlangte, ihm
den Rücken zu decken. Daß wir den Verbündeten damals nicht
verlassen konnten, war klar. Das hätte geheißen, den russischen
Koloß stärken, um dann selbst um so sicherer und widerstandsloser
von ihm erdrückt zu werden.
Mir als Soldaten mußte besonders das Mißverhältnis zwischen
den politischen Ansprüchen Österreich-Ungarns und seinen innerpolitischen
sowie militärischen Kräften auffallen. Den ungeheuren Rüstungen
des nach dem ost-asiatischen Kriege wieder gekräftigten Rußland
gegenüber verstärkten zwar wir Deutschen unsere Wehr, stellten
aber nicht die gleichen Anforderungen an unseren österreichisch-ungarischen
Bundesgenossen. Für die Staatsmänner der Donaumonarchie mochte
es sehr einfach sein, sich gegenüber unseren Anregungen auf Erhöhung
der österreichisch-ungarischen Rüstungen hinter Schwierigkeiten
ihrer innerstaatlichen Verhältnisse zurückzuziehen. Warum aber
fanden wir keine Mittel, Österreich-Ungarn in dieser Frage vor ein
Entweder-Oder zu stellen? Wir kannten doch die gewaltige zahlenmäßige
Überlegenheit unserer voraussichtlichen Gegner. Durften wir es nun
dulden, daß der Verbündete einen großen Teil seiner Volkskräfte
für die gemeinsame Verteidigung brachliegen ließ? Was nützte
es uns, in Österreich-Ungarn ein nach Südosten vorgeschobenes
Bollwerk zu besitzen, wenn dieses Bollwerk nach allen Seiten Risse aufwies
und nicht genügend Verteidiger besaß, um seine Wälle zu
halten?
Auf eine wirksame Waffenhilfe Italiens zu rechnen, schien mir von jeher
bedenklich. Eine solche war zweifelhaft, selbst bei gutem Willen der italienischen
Staatsmänner. Wir hatten Gelegenheit gehabt, die Schwächen des
italienischen Heeres im Tripoliskrieg vollauf zu erkennen. Seitdem waren
die dortigen Verhältnisse bei den schwer erschütterten Finanzen
des Staates kaum besser geworden. Schlagbereit war Italien jedenfalls
nicht.
In diesen Richtungen bewegten sich meine damaligen Betrachtungen und Sorgen.
Ich hatte den Krieg schon zweimal kennengelernt, jedesmal unter kraftvoller
politischer Führung vereint mit einfachen, klaren kriegerischen Zielen.
Ich fürchtete den Krieg nicht, auch jetzt nicht! Aber ich kannte
neben seinen erhebenden Wirkungen seine verheerenden Eingriffe in das
menschliche Dasein zu gut, als daß ich ihn nicht hätte denkbar
lange vermieden wissen wollen.
Und nun brach der Krieg über uns herein! Die Hoffnungslosigkeit,
uns mit Frankreich auf dem bestehenden Boden vergleichen, den Geschäftsneid
und die Rivalitätsangst Englands bannen, die russische Begehrlichkeit
ohne unseren Bündnisbruch mit Österreich befriedigen zu können,
hatte in Deutschland seit langem eine Stimmungsspannung hervorgerufen,
in der der Kriegsausbruch fast wie eine Befreiung von einem beständigen,
das ganze Leben beeinträchtigenden Drucke empfunden wurde.
Der deutsche kaiserliche Heerbann trat an! Eine stolze Kriegsmacht, wie
sie die Welt in dieser Tüchtigkeit nur selten gesehen hat. Bei ihrem
Anblick mußte der Herzschlag des ganzen Volkes kräftiger werden.
Doch nirgends Übermut im Angesicht der Aufgabe, die unserer harrte.
Hatten doch weder Bismarck noch Moltke uns über die wuchtende Last
eines solchen Krieges im unklaren gelassen, stellte doch jeder Einsichtige
bei uns sich die Frage, ob wir politisch, wirtschaftlich, militärisch
und moralisch imstande sein würden, durchzuhalten. Doch größer
als die Sorge war zweifellos das Vertrauen.
In diesen Stimmungen und Gedanken traf auch mich die Nachricht vom Losbrechen
des Sturmes. Der Soldat in mir wurde in seiner nunmehr alles beherrschenden
Kraft wieder lebendig. Würde mein Kaiser und König meiner bedürfen?
Gerade das letzte Jahr war ohne eine amtliche Andeutung dieser Art für
mich vorübergegangen. Jüngere Kräfte schienen ausreichend
verfügbar. Ich fügte mich dem Schicksal und blieb doch in sehnsuchtsvoller
Erwartung.
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