Zur
Front
Die
Heimat lauschte in Spannung.
Die Nachrichten von den Kriegsschauplätzen entsprachen unseren Hoffnungen
und Wünschen. Lüttich war gefallen, das Gefecht bei Mülhausen
siegreich geschlagen, unser rechter Heeresflügel und unsere Mitte
im Vorschreiten durch Belgien. Die ersten jubelatmenden Nachrichten über
die Lothringer Schlacht drangen ins Vaterland. Auch aus dem Osten klang
es wie Siegesfanfaren.
Nirgends Ereignisse, die sorgende Gedanken gerechtfertigt erscheinen ließen.
Am 22. August 3 Uhr nachmittags erhielt ich eine Anfrage aus dem Großen
Hauptquartier Seiner Majestät des Kaisers, ob ich bereit zur sofortigen
Verwendung sei.
Meine Antwort lautete: "Bin bereit."
Noch bevor dieses Telegramm im Großen Hauptquartier eingetroffen
sein konnte, erhielt ich ein zweites von dort. Danach rechnete man augenscheinlich
bestimmt mit meiner Bereitschaft zur Annahme einer Feldstelle und teilte
mir mit, daß General Ludendorff bei mir eintreffen werde. Weitere
Mitteilungen aus dem Großen Hauptquartier klärten dann die
Sachlage für mich dahin auf, daß ich als Armeeführer sogleich
nach dem Osten abzugehen hätte.
Gegen 3 Uhr nachts fuhr ich, in der Eile nur unfertig ausgerüstet,
zum Bahnhof und stand dort erwartungsvoll in der mäßig beleuchteten
Halle. Meine Gedanken rissen sich von dem heimischen Herde, den ich so
plötzlich verlassen mußte, erst völlig los, als der kurze
Sonderzug einfuhr. Ihm entstieg mit frischem Schritte General Ludendorff,
sich bei mir als mein Chef des Generalstabes der 8. Armee meldend.
Der General war mir bis zu diesem Augenblicke fremd gewesen, seine Tat
bei Lüttich mir noch unbekannt. Er klärte mich zunächst
über die Lage an unserer Ostfront auf, über die er am 22. August
im Großen Hauptquartier Koblenz von dem Chef des Generalstabes des
Feldheeres, Generaloberst von Moltke, persönlich unterrichtet worden
war. Danach hatten sich die Operationen der 8. Armee in Ostpreußen
folgendermaßen entwickelt: Die Armee hatte das XX. Armeekorps, verstärkt
durch Festungsbesatzungen und sonstige Landwehrformationen, bei Beginn
der Operationen zum Schutze der Südgrenze West- und Ostpreußens
von der Weichsel bis an das Lötzener Seengebiet in Stellung belassen.
Die Masse der Armee (I. Armeekorps, XVII. Armeekorps, I. Reservekorps,
3. Reservedivision, Festungsbesatzung Königsberg und 1. Kavalleriedivision)
war an der Ostgrenze Ostpreußens versammelt worden und hatte dort
am 17. August bei Stallupönen, am 19. und 20. August bei Gumbinnen
im Angriff gegen die unter General Rennenkampf von Osten her vordringende
russische Njemenarmee gefochten. Während der Kämpfe bei Gumbinnen
war die Meldung vom Vormarsch der russischen Narewarmee unter General
Samsonoff von Süden her gegen die deutsche Grenzlinie Soldau-Willenberg
eingetroffen. Die Führung unserer 8. Armee glaubte damit rechnen
zu müssen, daß der Russe diese Grenze schon am 21. August überschreiten
würde. Angesichts dieser Bedrohung der rückwärtigen Verbindungen
aus südlicher Richtung brach das Oberkommando die Schlacht bei Gumbinnen
ab und meldete der Obersten Heeresleitung, daß es nicht imstande
sein würde, das Land östlich der Weichsel weiterhin zu behaupten.
Generaloberst von Moltke hatte diesen Entschluß nicht gebilligt.
Er vertrat die Auffassung, daß man noch eine Operation zur Vernichtung
der Narewarmee versuchen müßte, bevor man daran denken dürfte,
die militärisch, wirtschaftlich und politisch wichtige Stellung in
Ostpreußen aufzugeben. Der Gegensatz in den Anschauungen zwischen
der Obersten Heeresleitung und dem Armee-Oberkommando hatte den Wechsel
in den führenden Stellen der 8. Armee veranlaßt.
Zur Zeit schien die Lage bei dieser Armee folgende zu sein: Die Loslösung
vom Feinde war gelungen. Das I. Armeekorps und die 3. Reservedivision
befanden sich in Abbeförderung mit der Bahn nach Westen, während
das I. Reservekorps und das XVII. Armeekorps der Weichsellinie im Fußmarsch
zustrebten. Das XX. Armeekorps stand noch auf seinem Posten an der Grenze.
Ich war mit meinem nunmehrigen Armeechef in kurzem in der Auffassung der
Lage einig. General Ludendorff hatte schon von Koblenz aus die ersten
unaufschiebbaren Weisungen geben können, die dahin zielten, die Fortführung
der Operationen östlich der Weichsel sicherzustellen. Dazu gehörte
in erster Linie, daß die Transporte des I. Armeekorps nicht zu weit
nach Westen geführt, sondern auf Deutsch-Eylau, also feindwärts
hinter den rechten Flügel des XX. Armeekorps, herangeleitet wurden.
Alles weitere mußte und konnte erst bei unserem Eintreffen im Hauptquartier
der Armee in Marienburg entschieden werden.
Unser Gespräch hatte kaum mehr als eine halbe Stunde in Anspruch
genommen. Dann begaben wir uns zur Ruhe. Die dazu verfügbare Zeit
nützte ich gründlich aus.
So fuhren wir denn einer gemeinsamen Zukunft entgegen, uns des Ernstes
der Lage voll bewußt, aber auch voll festen Vertrauens zu Gott dem
Herrn, zu unseren braven Truppen und nicht zuletzt zueinander. Jahrelang
sollte von nun ab das gemeinsame Denken und die gemeinsame Tat uns vereinen.
Ich möchte mich hier gleich über das Verhältnis zwischen
mir und meinem damaligen Generalstabschef und späteren Ersten Generalquartiermeister
General Ludendorff aussprechen. Man hat geglaubt, dieses Verhältnis
mit dem Blüchers zu Gneisenau vergleichen zu können. Ich lasse
dahingestellt sein, inwieweit man bei diesem Vergleiche von der wirklich
richtigen historischen Grundlage ausgegangen ist. Die Stellung eines Chefs
des Generalstabes hatte ich, wie aus meinen vorhergehenden Ausführungen
ja bekannt ist, früher selbst jahrelang innegehabt. Die Tätigkeit
eines solchen gegenüber dem die Verantwortung tragenden Führer
ist, wie ich somit aus eigener Erfahrung wußte, innerhalb der deutschen
Armee nicht theoretisch festgelegt. Die Art der Zusammenarbeit und das
Ausmaß der gegenseitigen Ergänzung hängen vielmehr von
den Persönlichkeiten ab. Die Grenzen der beiderseitigen Wirkungsbereiche
sind also nicht scharf voneinander getrennt. Ist das Verhältnis zwischen
Vorgesetztem und Generalstabschef ein richtiges, so werden sich diese
Grenzen durch soldatischen und persönlichen Takt und die beiderseitigen
Charaktereigenschaften leicht ergeben.
Ich selbst habe mein Verhältnis zu General Ludendorff oft als das
einer glücklichen Ehe bezeichnet. Wie will und kann der Außenstehende
das Verdienst des einzelnen in einer solchen scharf abgrenzen? Man trifft
sich im Denken wie im Handeln, und die Worte des einen sind oftmals nur
der Ausdruck der Gedanken und Empfindungen des anderen.
Eine meiner vornehmsten Aufgaben, nachdem ich den hohen Wert des Generals
Ludendorff bald erkannt hatte, sah ich darin, den geistvollen Gedankengängen,
der nahezu übermenschlichen Arbeitskraft und dem nie ermattenden
Arbeitswillen meines Chefs so viel als möglich freie Bahn zu lassen
und sie ihm, wenn nötig, zu schaffen. Freie Bahn in der Richtung,
in der unser gemeinsames Sehnen, unsere gemeinsamen Ziele lagen: der Sieg
unserer Fahnen, das Wohl unseres Vaterlandes, ein Friede, wert der Opfer,
die unser Volk gebracht hatte.
Ich hatte dem General Ludendorff die Treue des Kampfgenossen zu halten,
wie sie uns in deutscher Volksgeschichte von Jugend an gelehrt wird, die
Kampfestreue, an der unser ethisches Denken so reich ist. Und wahrlich,
seine Arbeit und sein Wollen wie seine ganze sonstige Persönlichkeit
waren dieser Treue wert. Mögen andere darüber urteilen wie sie
wollen! Auch für ihn wird wie für so viele unserer Großen
und Größten erst später die Zeit kommen, in der das Volk
in seiner Gesamtheit bewundernd zu ihm aufblicken wird. Mein Wunsch aber
ist es, daß unser Vaterland in gleich schwerem Geschick aufs neue
einen solchen Mann finden möge, einen ganzen Mann, kraftvoll in sich
geschlossen, freilich auch eckig und kantig, aber geschaffen für
ein gigantisches Werk wie kaum ein zweiter in der Geschichte.
Wahrlich, er wurde in richtiger Erkenntnis seiner Bedeutung von seinen
Gegnern gehaßt!
Auf die Harmonie unserer kriegerischen und politischen Überzeugungen
gründete sich die Einheitlichkeit unserer Anschauungen in dem Gebrauch
unserer Streitmittel. Verschiedenheiten der Auffassungen fanden ihren
natürlichen Ausgleich und Abgleich, ohne daß das Gefühl
gemachter Nachgiebigkeiten auf einer oder der anderen Seite jemals störend
dazwischen trat. Die gewaltige Arbeit meines Generalstabschefs setzte
unsere Gedanken und Pläne auf das Räderwerk unserer Armeeführung
um und später auf das der gesamten Obersten Heeresleitung, nachdem
diese uns anvertraut worden war. Sein Einfluß belebte alle, niemand
konnte sich ihm entziehen, es sei denn auf die Gefahr hin, aus der einheitlichen
Bahn geschleudert zu werden. Wie konnte auch anders die ungeheure Aufgabe
erfüllt, die Triebkraft zur vollen Wirkung gebracht werden?
In selbstverständlicher, soldatischer Pflichterfüllung, reich
an Willen und Gedanken, schloß sich uns beiden der weitere Kreis
der Mitarbeiter an. Mit treu dankbarem Herzen werde ich stets auch ihrer
gedenken!
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